Matthias Müller ist mir schon seit längerem aufgefallen. Der Mosbacher betreibt trotz MS-Diagnose seit Jahren Triathlon. WAS??? Nachdem ich sein spannendes Buch Das Leben ist zu kurz für Beinschlagtraining gelesen habe, wollte ich ihn selbst befragen.
Mensch-TV: Lieber Matthias, stell dich bitte vor:
Ich bin 58 Jahre alt, seit über 32 Jahren glücklich verheiratet, habe zwei Kinder und bin beruflich weiterhin aktiv in verantwortlicher Position.
Vor meiner MS-Diagnose war ich noch als Schachsportler (mit FM-Titel) aktiv. Ausdauersport betreibe ich seit über 22 Jahren und finishte kürzlich meinen einundzwanzigsten Ironman, die meisten davon mit MS.
Mensch-TV: Wie hast du erste Symptome bei dir festgestellt?
Die Monate vor meinem Zusammenbruch mit Diagnose fühlte ich mich immer wieder total überladen und gestresst, wie bei einem Burnout.
Dann Januar 2013: Meine Beine fühlen sich seltsam an, die Koordination fällt mir schwer, als ob ich zu viel gebechert hätte. Auf der Treppe muss ich mich am Geländer festhalten. Was ist das denn? Ich muss doch zur Arbeit, meine Frau ist schon unterwegs. Das Fahrradfahren in die Firma wird heikel, ich halte auf der kurzen Strecke nur mit großer Mühe mein Gleichgewicht. Im Büro geht es mir immer schlechter. Mann, kriege ich gerade Kopfschmerzen. Meine linke Gesichtshälfte wird ganz pelzig. Geht doch nicht, ich hab doch heute so viel vor. Mir wird übel. Herz? Schlaganfall? Doch nicht ich! Doch! Ich stehe auf. Schwanke total, alles dreht sich, Kopf hämmert, links im Gesicht taub. Ich bin völlig fertig, mag nur noch meine Ruhe. Zusammenreißen! Rufe unseren Notfallhelfer, lege mich mitten im Büro gezielt flach auf den Boden. Sanitäter kommt, wir fahren ins Krankenhaus. Ab diesem Moment fängt es langsam an, sich zu bessern. Ich habe mir meine Situation eingestanden. Im Krankenhaus in den Rollstuhl, recht schnell in die Röhre zum MRT, hier drin bessert es sich trotz der beklemmenden Enge und den lauten Klopfgeräuschen, ich darf einfach nur liegen. Der Arzt spricht später etwas von Entzündungsherden, nötiger Einweisung in die Uniklinik. Ich kann nicht ganz folgen, habe weder Geld, Papiere, noch Essen. Ich benachrichtige meine Eltern, lasse meiner Frau Bescheid geben. In der Uniklinik spricht der Arzt am Empfang bei Betrachtung der MRT-Bilder ohne Vorwarnung: „Ah, Sie haben MS.“
Mensch-TV: Was hast du damals gegen die Krankheit unternommen?
Ich informierte mich erst mal, so gut es ging. Ich wollte dann in einer ersten noch harmlosen Behandlungsstufe versuchen, zum einen den übermäßigen Stress zu reduzieren, soweit es meine Pflichten zuließen. Zum anderen wurde angepasster Sport mit Spaß von nahezu allen Experten als positiv empfohlen. Bei den medizinischen Maßnahmen, die meist eine möglichst schnelle medikamentöse Behandlung dringend nahe legten, merkte ich überrascht, dass sich die ärztliche Empfehlung und manche Erfahrung aus dem echten Leben teilweise widersprachen. Ich begann zu hinterfragen, war aber zumindest froh, als Rückversicherung notfalls auf Medikamente ausweichen zu können.
Angepasster Sport ist natürlich für jeden anders zu bewerten. Hier hatte ich als mehrfacher Marathon- und Ironmanfinisher schon eine außerordentlich gute Grundlage. Hier sollte allerdings sich jeder seine Ziele für sich selbst passend festlegen. Viel wichtiger als die Höhe des Ziels ist das Aktivsein an sich.
Mensch-TV: Nimmst du Medikamente oder bestimmte Nahrungsergänzungsmittel?
Vitamin-D ist bisher das einzige Nahrungsergänzungsmittel, dass ich nehme. Hier hatte ich laut Bluttest auch tatsächlich einen Mangel.
Mensch-TV: Wie hast du dir dein Leben mit der MS sonst eingerichtet?
Ich sehe meine MS in erster Linie nicht als Gegnerin, ich akzeptiere sie als Partnerin, aber eben gleichberechtigt, nicht mir übergeordnet. Es hilft nicht, Energie an Situationen zu verschwenden, die man nicht ändern kann. Besser ist zu versuchen, das Positive herauszustellen. Und dies gibt es erstaunlich oft. Ich könnte die MS auch mit einem Rucksack vergleichen. Ich merke ihn immer wieder, mal vollgepackt, oft vernachlässigbar leer, mal wacklig nervend, oft abgelenkt nicht spürbar. Das Gewicht erinnert mich jedoch, so seltsam es klingen mag, auch an meine Chancen, eine Pause einzulegen und durch den Inhalt neue Kraft zu tanken
Wenn man mich fragt, ob es mir gut geht, sage ich „Ja.“
Wenn man mich fragt, ob ich gesund bin, sage ich etwas zögerlich meist auch „Ja.“ Ich stehe aber auch ganz offen zur Krankheit der 1000 Gesichter. Sie und ich sind jetzt vermutlich lebenslang ein Team. Krass ist, dass sich für manche Grenzen, die sich im Alltag schlossen, unzählige neue öffneten.
Mensch-TV: Was möchtest du unseren Lesern noch mitteilen?
Aktiv sein halte ich für unheimlich wichtig.
Bezeichnend fand ich einen früheren Herbstlauf. Ich hätte im Bett liegenbleiben können, denn draußen war es ungemütlich, dunkel, nasskalt und neblig. Doch ich stand auf, wurde aktiv. Ich verlief mich sogar etwas im Nebel, es wurde zäh. Und doch perfekt. Aktiv im Leben! Die Dämonen blieben zurück. Selbst wenn ich kurz vor dem Ziel ausgebremst werden sollte, ich habe nichts zu verlieren. Allein durch meine mächtigste Hilfe, das tägliche Aktivsein mit Spaß, gewinne ich zuvor schon unzählige Male.
Mensch-TV: Unter welchen Netzadressen, in welchen Medien kann Mensch mehr über dich erfahren?
Ich schreibe regelmäßig bei triathlon-szene.de einen Blog über Challenge MS, für das Gefühl des „Ich kann noch“.
Meinen wichtigsten Erfahrungen über MS, Sport und Spaß im Leben hatte ich 2019 in einem Buch zusammengefasst: https://www.bod.de/buchshop/das-leben-ist-zu-kurz-fuer-beinschlagtraining-matthias-mueller-9783750406414