Kampf gegen Entzündungen

Ich gebe mich nicht damit zufrieden, dass ich gegen die MS nur Medikamente nehmen darf. Ich studiere die Selbsthilfeliteratur und werde fündig: Mit einer veganen Ernährung beuge ich möglichen Entzündungen vor. Klasse. Ich lasse nur etwas weg und werde gesund. Zudem rette ich das Klima und minimiere das Tierleid. Ich betrachte mich im Spiegel und meine, einen Heiligenschein um meinen Körper zu sehen.
Ich stelle die Idee meiner Familie vor. Andrea ist angetan. Wir wollen es erst mal vegetarisch versuchen. »Aber gute Idee. Ich hatte eh die Nase voll von Spare Ribs.« – »Von Steaks.« Wir blicken versonnen in die Vergangenheit. »Oder erinnerst du dich an die Gyros auf dem Grill deiner Schwester?« Unisono sagen wir »Ekelhaft.« Max blickt uns verwundert an. »Sonst erzählt ihr etwas anderes.« Kinder verstehen das nicht.
»Menschen werden schlauer, erweitern ihren Horizont. Du darfst natürlich weiter Tiere töten. Hast du Bilder von einem Schlachthof gesehen? Aber das muss du mit deinen 14 Jahren selbst verantworten.« Zum Beweis meiner neuen Gesinnung beiße ich in einen Apfel.
»Michael! Mach dem Jungen doch kein schlechtes Gewissen.« Stimmt, ich wollte nicht missionieren.
»Du muss wissen, was du tust«, sage ich schnippisch. »Nur weil wir jetzt Vegetarier sind, musst du uns es nicht nachtun.« Kannst es aber. Max nickt erleichtert. »Also ich brat mir eine Wurst. Will noch jemand was? «
Ich beiß mir auf die Zunge, Andrea geht es nicht anders. »Natürlich nicht. Michael ist krank und ich bin Aktivistin. Wir haben uns für eine bessere Welt und gegen den Fleischkonsum entschieden. Punkt.« Somit ist unsere Entscheidung in Stein gemeißelt.
Den ersten Tag halte ich auch locker durch. Käsebrote und Gurken sind auch lecker, und das ohne Tier. Max verputzt unterdessen Schweineschnitzel in Jägersauce. Wir beobachten ihn misstrauisch und etwas neidisch. Aber so eine Pilzpampe mag ich sowieso nicht. In spanischen Versuchslabors genmanipulierte Champions in deutscher Glutenbrühe kommen nicht in meinen Magen. Andreas zugekniffener Mund zeigt, dass sie ähnlich denkt. Hoffentlich hält uns der Junge in ein paar Jahren nicht vor, dass wir ihn nicht vor seinem Irrtum bewahrt haben.
Auf der Arbeit beißt mein Bürogenosse Rolf in der Frühstückspause genüsslich in sein Wurstbrot. Fleischwurst von Metzger Rötting, wie die Tüte verrät. Was der sich traut.
»Wusstest du, dass ich Vegetarier bin.«
»Hmpf.« Ein undefinierbares Geräusch dringt aus Rolfs Mund. »Seit wann denn das?«
»Seit gestern. Ich habe dir leider keine WhatsApp geschickt. Sonst wüsstest du es.«
Rolf hustet. Wahrscheinlich hat er sich verschluckt, als er an die armen Schweine denken musste, die jetzt in seinem Magen verdaut werden.
»Hätte ich das sofort wissen müssen?«, fragt er. Ziemlich dumm.
»Natürlich, dann hättest du dein Brot mit Käse oder pflanzlichem Aufstrich belegt und würdest mir nicht diesen Müll voressen.«
Rolf grinst. »Warum bist du eigentlich Vegetarier? Das heißt, du isst jetzt nur Huhn?«
»Nein, Huhn ist auch Fleisch. Fleisch erhöht die Entzündungswerte im Körper. Bei Multiple Sklerose nicht empfehlenswert. Abgesehen vom Tierleid, wird durch Tierzucht unser Klima stärker geschädigt als durch Autos. Durch dein Wurstbrötchen geht die Welt unter. Kannst du das verantworten?«
Betrübt schüttelt Rolf den Kopf.
»Ist ja ein Ding. Dann esse ich in Zukunft auch nur Huhn wie du. Kein Thema. Salami ist aber auch in Ordnung, oder?«
Was für ein Ignorant. Ich halte ihn noch einen längeren Vortrag, was wir Vegetarier in der Welt bewirken, dann verkündet Rolf, lieber im Pausenraum zu speisen, um mich nicht weiter mit dem ekelhaften Geruch zu belästigen. Finde ich super. Erstaunlich, welche Wirkung mein Bewusstseinswechsel bereits am zweiten Tag erzeugt.
Am Abend gehe ich mit den Jungs meiner Männergruppe im Georgengarten grillen. Ich habe mir ein paar Zucchinis und Auberginen besorgt. Ich freue mich, auch wenn von anderen Grills Fleischgeruch durch die Anlage weht. Schädlich wie eine Zigarettenfabrik. Kinderaugen leuchten mich an, während die Zähe gierig in Fleischspieße beißen. Wenn ihr wüsstet, was die Eltern euch und der Welt antun.
Bei meiner Gang gibt es eine kleine Auseinandersetzung. Gert ist Yogalehrer und Hardcoreveganer. Er hat sich seinen eigenen Grill mitgebracht. So kommen seine Tofuwürstchen, Seitansteaks und Falafel nicht mit Tierleichen in Berührung. Ich begrüße diese Einstellung, unsere Buddies sind aber ein wenig beleidigt.
»Du hättest deine eigene Ecke auf dem Grill«, sagt Rollo ein Lemmy-Kilmister-Double. Gert trägt heute ein Post-Milch-Generation-Shirt. »Geht nicht. Bei jedem tierischen Produkt reagiere ich sofort allergisch. Bis zum Herzstillstand, ich musste bereits drei Mal wiederbelebt werden.« Er beißt in einen Snickers-Riegel. Ist da nicht Milch drin? Egal. Ich bewundere Gerts Konsequenz.
Ich halte ihm meine Zucchini hin. »Ich grille bei dir mit. Seit gestern bin ich auch Vegetarier.«
Gert starrt mich lange an, dann rümpft er die Nase.
»Alter, ich bin Veganer, kein Vegetarier.« Er klingt schwer angeekelt. »Wir haben eine Bomben-Gesundheit, leben ewig und haben besseren Sex als die Autoren des Kamasutras. Mensch Bresser, was ziehst du für eine halbherzige Scheiße ab. Verzichte auf Eier aus den Hühner-KZs oder Milch aus Rinderschlachtstätten.«
»Sei mal konsequent«, schlägt Rollo in die gleiche Kerbe, während er in ein Nackensteak beißt. »Wenn du was für Tiere tun willst, dann richtig.«
»Du hast einfach kein Herz. Nur weil du seit gestern auf dein Mett verzichtest, ist noch lange nicht alles gut.« Die anderen nicken. »Ja, Micha. Das stellst du dir zu einfach vor«, sagt Uli.
Langsam werde ich ärgerlich. Ich baue mich vor Gert auf. »Und warum trägst du Lederschuhe? Dein Bordeaux wurde auch mit Gelatine gekeltert und dein SUV killt jeden Tag tausende Insekten.«
Alle schweigen. Schweigen lange. Nur Uli beißt traurig in eine Wurst.
Schließlich sagt Gert »Du bist so mies, Bresser. Jetzt weiß ich, warum die Vegetarierszene bei den Fleischessen so verhasst ist. Ihr bildet euch auf eure Tofuschnitzel was ein, und fühlt euch wie Gott persönlich. Ihr seid einfach nur verabscheuenswert.«
Wütend fegt er seine Fleischersatzprodukte vom Grill und packt zusammen. »Fuck«, brüllt er. »Da hat Bresser einmal an einer Sellerie gerochen und bringt alle Veganer in Verruf. Das haben wir nicht verdient.« Alle murmeln böse vor sich hin, schauen zu Boden und packen räumen auf. Der Abend ist gelaufen.
Eines habe ich für die Zukunft gelernt: Auch wenn ich nun seit zwei Jahren weitgehend auf Fleisch verzichte, halte ich über meine Essgewohnheiten den Mund. Ob Hardcorefleischesser oder Veganer können alle leben, wie sie wollen. Um selbst zu überleben, müssen wir töten. Entweder Schwein oder Kohlkopf. Eines Tages wird auch ein Dieter Nuhr begreifen, dass wir keine Möhren ermorden dürfen. Dann wird es für uns alle schwierig.

Habt ihr eure Essgewohnheiten wegen der Krankheit geändert? Ich bin gespannt.

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